Juni 2, 2025
Arthur Schopenhauer – Aphorismen zur Lebensweisheit!

Arthur ShopeNhauer - Aphorimsen zuR Lebensweisheit!
Ein gesunder Bettler ist glücklicher als ein kranker König!
Gesten wurde mir wieder mal nach langer Zeit das vllt. bekannteste Interview mit Bob Marley auf YouTube vorgeschlagen. In dem Interview wird ihm die Frage gestellt: „Bist du ein reicher Mann?“ Er antwortete nicht direkt, sondern stellte die Gegenfrage: „Wenn du reich sagst, was meinst du?“ Der Interviewer präzisiert: „Hast du viel Besitz, viel Geld auf der Bank?“ Bob Marley entgegnete darauf: „Besitz macht dich reich? Ich besitze nicht diese Art von Reichtum. Mein Reichtum ist das Leben – für immer!“
Was für eine Antwort – klingt fast schon abstrakt heutzutage!
Diese Aussage hat für mich gerade jetzt, während ich Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit lese – eines der Bücher meiner diesjährigen Reading List – eine ganz neue Tiefe gewonnen.
Schopenhauer stellt nämlich in seinem Buch eine ganz ähnliche Frage: Was macht ein gelungenes Leben wirklich aus? Besitz? Ansehen? Oder doch eher die eigene innere Verfassung?
Gleich zu Beginn der Aphorismen zur Lebensweisheit teilt Arthur Schopenhauer die Quellen des Glücks in drei Kategorien ein. In Anlehnung an Aristoteles – der in der Nikomachischen Ethik zwischen äußeren Gütern, Gütern der Seele und Gütern des Leibes unterschied – schlägt Schopenhauer ein differenziertes Modell bzw. eine eigene Dreiteilung vor. Diese lautet:
- Was einer ist – die Persönlichkeit im weitesten Sinne, d.h. alle in der Person liegenden Eigenschaften und Vorzüge.
- Was einer hat – der äußere Besitz und Reichtum jeglicher Art.
- Was einer vorstellt – was man in der Vorstellung anderer ist, also der Ruf, die Ehre, Stellung oder gesellschaftliche Anerkennung (Rang und Ruhm).
Schopenhauer macht deutlich, dass die Unterschiede, die aus unserem inneren Wesen stammen – also das, was uns die Natur selbst mitgegeben hat –, viel entscheidender für unser Glück oder Unglück sind als die äußeren Unterschiede, die nur auf menschlichen Regeln oder Konventionen beruhen. Dinge wie ein kluger Verstand oder ein mitfühlendes Herz sind für ihn echte Werte. Im Gegensatz dazu wirken Dinge wie Herkunft, gesellschaftlicher Rang oder Reichtum auf ihn eher wie Könige auf einer Theaterbühne – beeindruckend, aber nicht wirklich bedeutsam.
Auch der antike Vorsokratiker und Philosoph Metrodoros von Lampsakos hatte eine selbe These auf die Welt gebracht, und zwar, dass „was aus uns selbst kommt“, wichtiger für unser Glück ist als das, „was von außen auf uns einwirkt“. Und diese Unterscheidung bildet die Grundlage für Schopenhauers Überlegungen: Vor allem die These „was einer ist“ – also die eigene Persönlichkeit – entscheidet darüber, ob ein Mensch ein erfülltes Leben führen kann oder nicht.
Schopenhauer vertritt also die These, dass die Persönlichkeit eines Menschen die maßgebliche Grundlage seines Lebensglücks bildet – weit mehr als Besitz oder gesellschaftliches Ansehen -> Für unser Lebensglück ist also darauf basierend das, was wir sind, die Persönlichkeit, durchaus das Erste und Wesentlichste“, schreibt er.
Alles, was ein Mensch erlebt, wird durch seine individuelle Beschaffenheit gefärbt, geformt. Jeder Mensch „genießt“ in jeder Situation in erster Linie sich selbst – seine Gedanken, seine Empfindungen, seine Wahrnehmung. Deswegen, so Schopenhauer, ist das englische “to enjoy oneself“ ein sehr treffender Ausdruck, mit welchem man z.B. sagt, “he enjoys himself at Paris” – also nicht er genießt Paris, sonder “er genießt SICH in Paris”.
Ist die innere Verfassung aber verdunkelt, schmeckt selbst der beste Wein bitter – „in einem mit Galle getränkten Munde“, wie Schopenhauer es so schön sagt. Umgekehrt kann eine reiche innere Welt selbst die kargste äußere Umgebung mit Bedeutung erfüllen. Das heißt: Ein und dasselbe Ereignis mag dem einen banal erscheinen, während es für den anderen zur existenziellen Erfahrung wird.
Natürlich können auch äußere Umstände oder Schicksalsschläge das persönliche Glück erschüttern – gar keine Frage! Doch abgesehen von schweren, existenzbedrohenden Unglücksfällen, kommt es Schopenhauer zufolge weniger darauf an, was einem im Leben begegnet, als vielmehr darauf, wie man es empfindet. Auch ähnlich formuliert von Epiktet in seinem wohl bekanntesten Zitat: „Nicht die Dinge selbst, sondern die Meinungen über die Dinge beunruhigen die Menschen. Die Persönlichkeit wirkt dabei als permanenter Einflussfaktor auf unser Wohlbefinden, „mehr oder weniger in jedem Augenblick“. Äußere Dinge hingegen berühren uns nur situativ und punktuell, vorübergehend – und sie sind dem Wandel unterworfen. Deshalb nennt Schopenhauer die Persönlichkeit das einzig Unmittelbare für unser inneres Wohlbefinden: „Was einer in sich ist und an sich selber hat, kurz die Persönlichkeit und deren Wert, ist das alleinige Unmittelbare zu seinem Glück und Wohlsein. „Alles andere ist mittelbar; daher kann auch dessen Wirkung vereitelt werden, aber die der Persönlichkeit nie.“
In diesem Sinn spricht Schopenhauer der Persönlichkeit einen absoluten Wert zu, im Gegensatz zu dem bloß relativen Wert von Besitz und Stellung. Besitz und Ruf haben nur insofern Wert, als die Umstände günstig bleiben und andere Menschen einem diese Werte zusprechen – sie sind somit zum größten Teil von äußeren Umständen abhängig. Die Persönlichkeitswerte hingegen sind innewohnende Werte und Merkmale charakteristischer Struktur und Natur, die nicht einfach so vom Schicksal entrissen werden können. Schopenhauer unterstreicht: Die Persönlichkeit „ist nicht, wie die Güter der zwei anderen Rubriken (also was einer hat und was einer vorstellt), dem Schicksal unterworfen, und kann uns nicht entrissen werden“. Ihr Wert sei deswegen unverlierbar – „ihr Wert kann insofern ein absoluter heißen“.
Weil der innere Zustand so ausschlaggebend ist, bedeutet dies umgekehrt auch: Äußere Güter können nie vollständig über innere Mängel hinwegtrösten. Schopenhauer gibt Beispiele: Ein geistreicher Mensch findet selbst in völliger Einsamkeit reichhaltige Unterhaltung in den eigenen Gedanken, während ein stumpfer Mensch sich trotz aller Zerstreuungen in Gesellschaft, Theater und Luxus tödlich langweilen wird. Ebenso kann ein gütiger, gemäßigter Charakter selbst in einfachen Verhältnissen zufrieden leben, während ein habgieriger, neidischer oder böser Charakter selbst im Überfluss nicht wirklich glücklich wird.
Wer also das Glück einer außerordentlichen, geistig eminenten Individualität in sich trägt, für den werden viele äußerliche Vergnügungen „ganz überflüssig, und ja vllt sogar nur störend und lästig“. Schopenhauer bringt es auf den Punkt: „Denn was einer für sich selbst ist, was ihn in die Einsamkeit begleitet und was keiner ihm geben oder nehmen kann, ist offenbar für ihn wesentlicher als alles, was er besitzt, oder auch, was er in den Augen anderer sein mag.“
Diese Überzeugung über die Persönlichkeit, als maßgebliche Grundlage für den Lebensglück eines Menschen, spiegelt sich auch in dem Zitat von Goethe, das Schopenhauer ebenfalls in dem Buch anführt…In Goethe’s Gedicht „Suleika“ aus dem „West-östlichen Dìvan„heißt es:
In seinen Worten:
„Volk und Knecht und Überwinder“
Sie gestehn zu jeder Zeit.
Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit
„Höchstes Glück der Erdenkinder, sei nur die Persönlichkeit“:
Dies bedeutet, dass das größte Glück, das Menschen auf der Erde empfinden können, mit der Persönlichkeit in Verbindung steht. Und mit Persönlichkeit meint er, dass man sich nicht an Vorstellungen oder Erwartungen anderer klammern soll, sondern an das, was man selbst ist. Es ist also eine Aufforderung, seine eigene Individualität und einzigartige Persönlichkeit zu leben.
Schopenhauer spricht viel über die Persönlichkeit. Was macht aber (nach Schopenhauer) eine "gute Persönlichkeit" aus? Worin besteht der Wert oder die Güte der Persönlichkeit? Welche Eigenschaften machen eine Persönlichkeit innerlich reich und glücklich?
Gesundheit, Charakter und Moral, Geist und Intellekt, Temperament und Heiterkeit und zum Schluss noch Schönheit.
Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Gesundheit: Körperliches Wohlergehen bildet die Grundlage des Glücks. Schopenhauer betont, dass Gesundheit alle äußeren Güter bei Weitem überwiegt, ja „wahrlich ein gesunder Bettler glücklicher ist als ein kranker König“. Körperliche Gebrechen oder chronischer Schmerz können den Genuss aller anderen Vorzüge vergällen. Umgekehrt ermöglicht Gesundheit erst ein ruhiges und heiteres Lebensgefühl. Deshalb stellt Schopenhauer die Pflege der Gesundheit an erste Stelle: Aus dem Vorrang der Persönlichkeit folge, „daß es weiser ist, auf Erhaltung seiner Gesundheit und auf Ausbildung seiner Fähigkeiten, als auf Erwerbung von Reichtum hinzuarbeiten“. Mit anderen Worten: Man sollte eher in Körper und Geist investieren als bloß materielle Schätze anhäufen.
- Charakter und Moral: Eine edle Gesinnung und ein guter moralischer Charakter zählen zu den höchsten persönlichen Vorzügen. Schopenhauer spricht vom „großen Herzen“ als Inbegriff eines moralisch hochstehenden Charakters. Ein „gemäßigter, sanfter Wille“ und daraus folgend ein gutes Gewissen gehören für ihn zu den unverzichtbaren Zutaten eines innerlich erfüllten Menschen. Wer frei von boshaften Neigungen, Neid und Gier ist, schafft die Voraussetzung, überhaupt zufrieden sein zu können. Eine solche gute, sanfte Persönlichkeit kommt selbst mit einfachen Lebensumständen zurecht und trägt die Zufriedenheit in sich. Moralische Trefflichkeit (Tugend) hat für Schopenhauer einen eigenen beglückenden Wert – wie er andernorts (in seiner Ethik-Preisschrift) ausgeführt hat. Kurz: Herzensgüte, Ehrlichkeit und Mäßigung machen einen großen Teil dessen aus, was Schopenhauer unter einer wertvollen Persönlichkeit versteht.
- Geist und Intellekt: Ebenso wichtig ist die Geisteskraft des Menschen. Schopenhauer schätzt einen klaren, lebhaften, tief eindringenden und richtigen Verstand als enormes Glückspotential. Geistige Fähigkeiten – Intelligenz, Auffassungsgabe, Kreativität – ermöglichen eine reichere Wahrnehmung der Welt und damit mehr Genuss im Erleben. Ein „fähiger Kopf“ (Verstand) gehört daher zu den höchsten subjektiven Gütern. Je ausgeprägter die Intelligenz, desto weniger Raum bleibt für quälende Langeweile, da der innere Reichtum des Geistes beständig für Beschäftigung und anregende Gedanken sorgt. Schopenhauer bemerkt sogar: Nichts bewahrt so sicher vor dem Elend der Langeweile wie ein „unerschöpflicher Regsamkeit der Gedanken“, die einem hervorragenden Kopf eigen ist. Ein überragend intelligenter Mensch führe neben seinem persönlichen Leben „noch ein zweites, nämlich ein intellektuelles“, das ihm schließlich zum eigentlichen Lebenszweck wird. Bildung und geistige Entwicklung steigern also maßgeblich die Lebensqualität. Folgerichtig rät Schopenhauer, man solle sich intensiv um die Ausbildung der eigenen geistigen Fähigkeiten bemühen. Bildung (im Sinne von Selbstentwicklung der Anlagen) ist Teil dessen, „was einer ist“, und kein äußerlicher Schmuck: Sie erhöht direkt den Wert der Persönlichkeit.
- Temperament und Heiterkeit: Schopenhauer misst dem angeborenen Temperament und insbesondere der Heiterkeit des Gemüts einen außerordentlichen Stellenwert bei. Von allen persönlichen Vorzügen beglückt uns keine so unmittelbar wie die Heiterkeit: „Was nun aber, von jenen allen, uns am unmittelbarsten beglückt, ist die Heiterkeit des Sinnes: denn diese gute Eigenschaft belohnt sich augenblicklich selbst“, schreibt er. Wer die Fähigkeit besitzt, fröhlich und gelassen zu sein, ist allein dadurch schon glücklich – „wer eben fröhlich ist, hat allemal Ursach, es zu sein: nämlich eben diese, daß er es ist“. Diese Gemütserklärung ersetzt alle anderen Güter: „Nichts kann so sehr, wie diese Eigenschaft, jedes andere Gut vollkommen ersetzen; während sie selbst durch nichts zu ersetzen ist.“. Schopenhauer veranschaulicht: Jemand mag jung, schön, reich und angesehen sein – entscheidend für sein Glück ist, ob er heiter dabei ist. Ist er es nicht, helfen ihm all jene Vorteile wenig; ist er es doch, so ist es „einerlei, ob er jung oder alt, gerade oder bucklig, arm oder reich sei; er ist glücklich“. Heitere Gelassenheit ist für Schopenhauer somit ein Kernmerkmal einer guten Persönlichkeit, da sie das subjektive Wohlbefinden direkt bestimmt.
- Schönheit: Körperliche Schönheit wird von Schopenhauer zwar ebenfalls unter die persönlichen Vorzüge gezählt, doch er räumt ihr eine etwas andere Stellung ein. Schönheit trägt „nicht eigentlich unmittelbar zu unserm Glücke“ bei, „sondern bloß mittelbar, durch den Eindruck auf Andere“. Das heißt: Schönsein macht einen Menschen nicht automatisch glücklich in sich selbst, verschafft ihm aber Vorteile im Umgang mit anderen Menschen. „Der Gesundheit zum Teil verwandt ist die Schönheit“, meint Schopenhauer – sie ist also ein Naturgeschenk wie die Gesundheit. Er nennt Schönheit „einen offenen Empfehlungsbrief, der die Herzen zum voraus für uns gewinnt“. Dieser Vorteil gilt auch für Männer, betont er ausdrücklich. Die Wohltaten der Schönheit zeigen sich darin, wie wohlwollend und freundlich die soziale Umwelt auf einen schönen Menschen reagiert. Das erleichtert vieles im Leben (Zuneigung, berufliche Chancen, soziale Interaktion) und kann so mittelbar zum Wohlbefinden beitragen. Dennoch bleibt Schönheit ein zweitrangiger Glücksfaktor gegenüber den inneren Eigenschaften: Ein hässlicher Mensch mit heiterem Sinn und genialem Geist wird letztlich glücklicher sein als ein schöner Narr mit schlechtem Charakter. Schönheit ist vergänglich und ohne inneren Wert, solange sie nicht mit Charakter und Geist einhergeht – sie ist „eitel“ im Vergleich zu den substanziellen Vorzügen der Persönlichkeit.
Zusammengefasst sieht Schopenhauer eine gute Persönlichkeit als Kombination von körperlichem Wohlsein, geistiger Fülle, positiver Gemütsart und moralischer Integrität. Diese persönlichen Vorzüge sind es, „die kein Rang oder Reichtum ersetzen kann“. Weder materieller Besitz noch sozialer Status können das Fehlen solcher inneren Güter wettmachen. Entsprechend ist auch der Neid auf persönliche Vorzüge der tiefste und verbittertste Neid: Da echte Talente, Charakterstärke oder Charme nicht durch Fleiß oder Glück erworben werden können wie Reichtum oder Titel, empfinden Menschen laut Schopenhauer oft einen im Stillen nagenden Neid auf die natürliche Überlegenheit anderer. Dieser Neid bestätigt nur den unschätzbaren Wert der Persönlichkeit – man beneidet vor allem das, was am schwersten zu erlangen ist.
Anlage und Entwicklung der Persönlichkeit:
Eine wichtige Erkenntnis Schopenhauers ist, dass die wesentlichen Züge der Persönlichkeit dem Menschen angeboren und vorgegeben sind. In einem poetischen Zitat aus Goethes Urworte. Orphisch (Gedicht „Dämon“) bringt er diese Unabänderlichkeit zum Ausdruck:
„Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, / … / Bist alsobald und fort und fort gediehen / Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. / So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, / … / Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt / Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“
Diese Verse – die Schopenhauer ausdrücklich anführt – bedeuten: Jeder Mensch wird mit einer bestimmten Wesensart geboren, die sich gemäß einem inneren Gesetz entfaltet. Man kann sich selbst nicht entfliehen – dem eigenen Charakter, Talent und Temperament ist man auf Gedeih und Verderb verbunden. Keine Zeit und keine äußere Macht kann die eingeprägte Form (die individuelle Natur) aufheben oder völlig verändern. Schopenhauer nennt die subjektive Natur des Menschen sogar „jure divino“ gegeben – durch göttliches (oder naturgesetzliches) Recht festgelegt. In diesem Sinne liegt die Persönlichkeit nicht völlig in unserer freien Kontrolle, sondern ist ein Ergebnis von Veranlagung und Schicksal.
Allerdings bedeutet dies nicht, dass man der Entwicklung der Persönlichkeit völlig passiv gegenübersteht. Schopenhauer rät, das Beste aus der gegebenen Persönlichkeit zu machen. „Das Einzige, was in dieser Hinsicht in unserer Macht steht, ist, daß wir die gegebene Persönlichkeit zum möglichsten Vorteile benutzen“, schreibt er. Konkret solle man Lebensziele, Beruf und Lebensweise so wählen, dass sie zu den eigenen natürlichen Anlagen passen. Ein Mensch, der etwa mit außergewöhnlicher Körperkraft geboren ist, wird unglücklich, wenn er ein Leben im engen Studierzimmer oder bei sitzender Büroarbeit verbringen muss – seine hervorragenden Kräfte bleiben ungenutzt und er fühlt sich fehl am Platz. Ebenso wird jemand mit glänzenden geistigen Fähigkeiten verkümmern und verzweifeln, wenn er seine Intelligenz nicht entfalten kann und stattdessen zu stumpfsinniger Routinearbeit oder rein körperlicher Plackerei gezwungen ist. Die Lehre daraus: Man muss sich selbst kennen und sein Leben im Einklang mit der eigenen Persönlichkeit gestalten. Nur dann kann das angeborene Potential auch tatsächlich zum Glücksfall werden.
Schopenhauer warnt jedoch auch vor Selbstüberschätzung, besonders in jungen Jahren: Man dürfe sich nicht fälschlich „ein Übermaß von Kräften zuschreiben, welches man nicht hat“. Wer seine Fähigkeiten falsch einschätzt, wählt womöglich einen Lebensweg, der die Persönlichkeit überfordert oder verfehlt – was wiederum ins Unglück führt. Klüger ist es, ehrlich die eigenen Stärken und Schwächen zu betrachten und gezielt die echten Talente zu fördern. Daher sind Selbsterkenntnis und Maßhalten ebenfalls Teil der Lebensweisheit.
Abschließend betont Schopenhauer nochmals die Priorität der persönlichen Entwicklung gegenüber äußerem Erfolg: „Es ist weiser, auf Erhaltung seiner Gesundheit und auf Ausbildung seiner Fähigkeiten hinzuwirken, als auf Erwerbung von Reichtum“. Denn innere Güter wachsen mit Gebrauch – Wissen, Fähigkeit und Tugend nehmen zu, wenn man an ihnen arbeitet – während äußerer Besitz jederzeit verloren gehen kann. Die Investition in die eigene Persönlichkeit ist somit die sicherste und nachhaltigste.
Aristotelische und goethische Einflüsse:
Schopenhauers Auffassungen in den Aphorismen zur Lebensweisheit stehen erkennbar in Tradition klassischer und humanistischer Gedanken, was er durch direkte Verweise unterstreicht. So knüpft er explizit an Aristoteles an: Die erwähnte Dreigliederung der Lebensgüter (Persönlichkeit – Besitz – Ruf) ist eine leicht abgewandelte Übernahme von Aristoteles’ Nikomachischer Ethik (I, 8). Aristoteles unterschied bekanntlich zwischen inneren Gütern der Seele, äußeren Gütern und leiblichen Gütern. Schopenhauer übernimmt lediglich „die Dreizahl“ dieser Einteilung und füllt sie mit seinen Begriffen. Damit stellt er sich in die eudämonologische Tradition, die das Glück des Menschen analysiert. An anderer Stelle zitiert er Aristoteles’ Eudemische Ethik: „ἡ γὰρ φύσις βέβαια, οὐ τὰ χρήματα“ – „die Natur (des Menschen) ist beständig, nicht aber die Reichtümer“. Dies gebraucht Schopenhauer als Bestätigung dafür, dass innere Eigenschaften dauerhafter und wesentlicher sind als äußere Besitzstände. Auch die antike Weisheit der Stoiker und Epikureer klingt an: Schopenhauer erwähnt etwa, dass Epikur als „Glückseligkeitslehrer“ die Klugheit der Bedürfnisbegrenzung und die Wertschätzung innerer Lust betont habe. Insgesamt zeigt sich, dass Schopenhauers Konzept – das Glück im Wesentlichen auf innere Werte zu gründen – in Einklang mit der klassischen Philosophie steht, wenngleich er es auf eigene Weise zuspitzt.
Noch augenfälliger sind Schopenhauers Bezüge zu Goethe, dessen Dichtkunst er als Beleg für philosophische Einsichten heranzieht. Bereits erwähnt wurde das Zitat aus Goethes West-östlichem Divan, worin die Persönlichkeit als höchstes Erdenheil gepriesen wird. Schopenhauer, der Goethe sehr schätzte, unterstützt damit seine Behauptung, dass nichts das Glück eines Menschen so sehr bestimmt wie das, was er von Natur aus ist. Des Weiteren entleiht er Goethe Verse aus den Urworte. Orphisch (Gedicht “Dämon”), um die Unentrinnbarkeit des eigenen Charakters zu illustrieren. Goethes Zeilen – „So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen… Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt geprägte Form, die lebend sich entwickelt“ – fassen prägnant Schopenhauers Überzeugung zusammen, dass der Mensch seinem inneren Dämon (seiner angeborenen Persönlichkeit) folgen muss und dass diese Form sich im Leben zwar entfaltet, aber im Kern nie zerstört oder ganz verwandelt werden kann. Schopenhauer stimmt Goethe hier voll zu: Unsere Persönlichkeit ist unser Schicksal, und darin liegt sowohl Begrenzung als auch Chance.
Goethes Einfluss zeigt sich auch indirekt in Schopenhauers Schreibstil und Beispielen. Wenn Schopenhauer etwa anmerkt, ein Mensch mit reichem Geist brauche keine äußeren Sensationen – „Nun aber gar dem, welcher beständig den Genuß einer außerordentlichen, geistig eminenten Individualität hat, sind die meisten der allgemein angestrebten Genüsse ganz überflüssig“ – so erinnert dies an die goethische Idee, dass wahres Glück von innen kommt und äußere Ablenkungen eher stören. Goethe selbst lebte eine gewisse genugsame Innerlichkeit vor, was Schopenhauer gewiss imponierte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Schopenhauers Auffassungen zur Persönlichkeit philosophisch breit verankert sind. Er integriert aristotelisches Denken (die Hierarchie der Güter und die Vorrangstellung der Seelengüter) und goethesche Lebensweisheit (der Appell, man selbst zu sein und darauf sein Glück zu gründen) in seine eigene pessimistischen Weltanschauung. Trotz Schopenhauers genereller Skepsis am irdischen Glück (an anderer Stelle zweifelt er bekanntlich, ob das Leben überhaupt ein wünschenswertes Glück enthalte), liefert er hier – beeinflusst von Klassikern – einen beinahe humanistisch-optimistischen Ratschlag: Kümmere dich vor allem darum, wer du bist, forme und akzeptiere deine Persönlichkeit, denn darin liegt der Schlüssel zu einem gelingenden Leben. Oder in Schopenhauers eigenen Worten: „Denn was einer für sich selbst ist… ist offenbar für ihn wesentlicher als alles, was er besitzen, oder auch was er in den Augen anderer sein mag.“
Links & Quellen
Bob Marley interview (YouTube): Hier
Meine Reading List für 2025 auf Instagram: Hier
Literatur-Empfehlungen auf meiner Website: Hier
Johann Wolfgang Goethe -Suleika Gedichte aus dem West-östlichen Divan Mit einem Nachwort von Elisabeth Binder (frei zugängliches PDF): Hier
Aphorismen zur Lebensweisheit von Schopenhauer (aus: Parerga und Paralipomena, 1851) (frei zugängliches PDF): Hier
Aphorismen zur Lebensweisheit von Schopenhauer (aus: Parerga und Paralipomena, 1851) (Gebundene Ausgabe -Thalia für 7€):Hier
Seneca: Hier